Armut hat sich in Wiesbaden verfestigt
In Wiesbaden leben viele wohlhabende Menschen, dennoch ist in der Stadt weiterhin auch Armut und Ausgrenzung sichtbar. Nahezu 20.000 Haushalten sind auf Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) und Sozialhilfe sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB XII)) angewiesen. Somit lebt in Wiesbaden im Vergleich zu anderen Städten eine relativ große Anzahl an Personen, die aufgrund ihrer eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten arm sind.
Die Einkommensarmut hat einen starken Einfluss auf die Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Die Einschränkungen wirken sich auf verschiedene Bereiche aus, z.B. auf die gesellschaftliche Teilhabe, Bildung, Wohnen, Gesundheit und Mobilität.
Die Anzahl der Betroffenen in Wiesbaden hat sich in den letzten Jahren verfestigt und steigt seit 2012 sogar wieder an. Aus dem SGB II Leistungsbezug auszusteigen ist für viele Betroffene schwierig. Rund ein Drittel der Leistungsbezieher sind Dauerbezieher. Drei Viertel der Betroffenen beziehen länger als ein Jahr die SGB II – Leistungen. Diese Menschen sind von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt, denn selbst in Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs steigen Ihre Chancen auf Beschäftigung kaum. Und sollte kurzzeitig ein Ausstieg gelingen, fallen sie oft wieder in den Leistungsbezug zurück.
1. Perspektiven für Arbeitssuchende bieten
Wiesbaden hat als Optionskommune weitreichende Möglichkeiten eine aktive kommunale Beschäftigungspolitik zu betreiben, um Arbeitssuchende Menschen, die Leistungen nach SGB II erhalten, eine Beschäftigungsperspektive zu geben.
Zwei Drittel der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verfügen über keine Berufsausbildung, deshalb muss der Schwerpunkt weiterhin bei Umschulungen und Weiterbildung liegen. Wir GRÜNE wollen, dass in der kommunalen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik vielfältige, individuelle und passgenaue Angebote gemacht werden, die den Bedarfen der Betroffenen gerechter werden. Bestehende Ausbildungs- und Qualifizierungsprogramme müssen ausgebaut und die Schnittstellen zwischen Schulen, Jugendhilfe und Trägern optimiert werden.
Die Fallmanagerinnen und Fallmanager im Jobcenter leisten gute Arbeit. Wir GRÜNE setzen uns dafür ein, dass ihr Engagement durch Fortbildungen unterstützt wird. Wir wollen ihnen einen „Ombudsmann“ zur Seite stellen, der in Konfliktsituationen Ansprechpartner ist. Somit können langwierige Gerichtsprozesse vermieden werden.
Die Wirklichkeit hat gezeigt, dass die bisherige Bestrafungspraxis nicht erfolgreich war, denn die gewünschten Verhaltensänderungen wurden in der Regel nicht erzielt. Festzustellen ist zudem, dass die Sanktionen schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben, da sie auf eine Förderung zugreifen, die erst eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen soll. Daher sehen wir GRÜNE diese Bestrafungen kritisch. Derzeit wird vor dem Bundesverwaltungsgericht geprüft, ob sie überhaupt mit den Grundrechten, insbesondere der Menschenwürde, vereinbar sind.
Wir GRÜNE meinen, dass der Grundbedarf, der für ein menschenwürdiges Leben notwendig ist, nicht durch Sanktionen angetastet werden darf.
Wir GRÜNE streben eine Grundsicherung an, die auf Motivation, Hilfe und Anerkennung statt auf Bestrafung setzt. Ein solches Prinzip der partnerschaftlichen Zusammenarbeit ist mit den heutigen Sanktionsregeln und -abläufen nicht vereinbar.
2. Kinderarmut zum zentralen Thema der Sozialpolitik machen
Kinderarmut ist ein zentrales Thema für uns GRÜNE. Etwa jedes vierte Kind im Alter von drei bis sechs Jahren, jedes fünfte Kind im Alter von null bis drei Jahren und jedes fünfte Kind im Altern von sieben bis 17 Jahren in Wiesbaden wächst in relativer Armut auf, also in einem Haushalt, der auf SGB II Leistungsbezug angewiesen ist. Steht einem Haushalt mit Kindern nur ein geringes Einkommen zur Verfügung, ist der Bedarf der Familie nicht mehr existenzsichernd zu decken. Die Gruppe der Bedarfsgemeinschaften, in denen Kinder leben, macht in Wiesbaden mit insgesamt 65 % der Leistungsberechtigten im SGB II den größten Anteil aus. Besonders betroffen sind Haushalte von Alleinerziehenden, die dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Wir GRÜNE fordern daher, dass Kinderarmut ein zentrales Thema der Sozialpolitik in Wiesbaden sein muss.
3. Ballung von Armut in einzelnen Quartieren überwinden
Die von Armut betroffenen bzw. sozial benachteiligten Haushalte verteilen sich in Wiesbaden nicht gleichermaßen auf alle Quartiere im Stadtgebiet. Während in einzelnen Quartieren sehr wohlhabende Haushalte konzentriert sind, gibt es in anderen Quartieren eine Ballung von Armut. Wegen der dortigen geringeren Kaufkraft bleiben Investitionen aus und die staatliche Unterstützung steigt an. Die Teilnahme am Bundes- und Landesprogramm soziale Stadt ist hierbei ein wichtiges kommunalpolitisches Element, das wir GRÜNE weiterhin unterstützen wollen.
Die hohe Konzentration von Armut ist ein echtes Problem, das wir GRÜNE weiterhin bekämpfen. Armut tritt oft in Verbindung mit geringerem Bildungsniveau auf und hat in Stadtteilen mit besonderen Bedarfslagen negative Folgen nicht nur für die Attraktivität der betroffenen Quartiere, sondern insbesondere auch für das gesellschaftliche Miteinander vor Ort. Zudem ist das Interesse an Politik und die politische Beteiligung geringer. Darunter leidet nicht nur die Mitgestaltung vor Ort, sondern auch das Ansehen der Quartiere – mit den entsprechenden in vielerlei Hinsicht unangenehmen Folgen.
Bildung und Qualifikation sind wesentliche persönliche Schlüssel, um aus dem Leistungsbezug herauszukommen. Die Aufstiegschancen für Kinder sind jedoch aufgrund der ungünstigen Sozialisationsbedingungen eingeschränkt. Die Ballung sozial benachteiligter Gruppen ist in Schulen und Kindertagesstätten der benachteiligten Quartiere nicht selten noch höher als in den Quartieren selbst, da aufstiegs- und bildungsorientierte Familien die Bildungseinrichtungen wechseln.
Kinder und Jugendliche in Quartieren mit einer Konzentration von besonderen Bedarfslagen werden folglich aufgrund der ungünstigen Sozialisationsbedingungen über ihre Soziallage hinaus zusätzlich benachteiligt. Es fehlen ihnen im täglichen Miteinander Kontakte zu besser gebildeten und situierten Mitmenschen – das Untersichbleiben ist ein Hindernis für ihren Aufstieg.
Aber nicht nur die Sozialisationsbedingungen und Bildungschancen der Kinder sind in den einzelnen Stadtteilen und Quartieren in Wiesbaden sehr unterschiedlich, auch der Gesundheitszustand in Quartieren mit hohen Bedarfslagen ist deutlich schlechter. Dies zeigen u.a. auch die Schuleingangsuntersuchungen.
Absonderung (Segregation) gibt es auch auf der anderen Seite der Medaille. Bei diesem Prozess spricht man von Gentrifizierung, also einer sozialen und wirtschaftlichen Veränderung, die zu einer Attraktivitätssteigerung einzelner Quartiere und damit zu Mietpreissteigerungen führt. Diese Quartiere sind dann für viele Haushalte nicht mehr erschwinglich. <siehe auch Wohnen>
Wir GRÜNE möchten der sozialen Segregation der Quartiere entgegentreten und sie durch politisches Gestalten stärker durchmischen. Insbesondere im Sozialwohnungsbau wollen wir stärker auf eine soziale Durchmischung der Quartiere zu achten. Weiterhin fordern wir die Attraktivität benachteiligter Quartiere gezielt durch soziale und kulturelle Angebot vor Ort ausbauen.
4. Wiesbadener „Handlungsprogramm“ ausbauen und finanziell absichern
Auf Grundlage der detaillierten Berichte zur Armut von Kindern, Jugendlichen und Familien hat Wiesbaden ein Handlungsprogramm mit verschiedenen Maßnahmen zum Abbau der herkunftsbedingten Benachteiligungen entwickelt. Dieses hat im Jahr 2013 von einem Ämter- und Politikübergreifenden Fachbeirat den Namen „Alle Chancen für …! Wiesbadener Programm zum Abbau herkunftsbedingter Bildungsbenachteiligung“ bekommen.
Mit dem Handlungsprogramm (aufgeteilt in vier Handlungsfelder und den dazugehörigen Maßnahmen) werden ganz gezielt benachteiligte Kinder und Jugendliche vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Übergang von Schule zum Beruf unterstützt. Das Programm zielt darauf ab Ungleichheiten zwischen den Stadtteilen und Quartieren auszugleichen und kein Kind zurückzulassen.
Die Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit des Programms wird von niemandem ernsthaft in Abrede gestellt. Dennoch ist das Programm aufgrund der anhaltenden Unterfinanzierung ins Stocken geraten bzw. bislang nicht im Sinne des Fachbeirates umgesetzt, worunter die betroffenen Kinder und Jugendlichen leiden. Dies wollen und können wir auch zum Wohle der gesamten Stadtgesellschaft nicht akzeptieren. Wir GRÜNE fordern daher die konsequente Umsetzung des Programms.
Im 1. Handlungsfeld „Existenzsichernde Erwerbsarbeit ermöglichen“ geht es darum die Erwerbsarbeit der Eltern im SGB II-Bezug zu unterstützen, damit sich auch die materielle Lebenslage der Kinder verbessert. Neben den bereits erwähnten Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten für Eltern ist hier auch ein Zugang zur Kinderbetreuung von großer Bedeutung, damit die Menschen an den Maßnahmen und dem Erwerbsleben teilnehmen können. Wir GRÜNE fordern, dass das spezielle Angebot und der Ausbau an Betreuungsplätzen für SGB II-Leistungsberechtigte konsequent umgesetzt wird.
Im 2. Handlungsfeld „Eltern unterstützen, Erziehungskompetenz fördern“ geht es darum den Bildungshintergrund der Eltern zu stärken, da dieser einen maßgeblichen Einfluss auf die Zukunft der Kinder hat. Insbesondere sind die Angebote der zielgruppenorientierten Elternbildung, der Willkommensbesuche und FrANKHA auszubauen und finanziell abzusichern. Wir GRÜNE fordern zudem, dass die Kinder-Eltern-Zentren (KIEZ), die sich in Wiesbaden als stadtteilbezogene Elternbildungsstruktur bewährt haben, auf alle Stadtteile mit besonderen Bedarfslagen ausgeweitet werden.
Das 3. Handlungsfeld „Hilfe im Einzelfall“ dreht sich um die Unterstützung der Eltern in Krisensituationen und die Vermeidung von Gefährdungssituationen. Dieses Themenfeld fällt in die Zuständigkeit der Bezirkssozialarbeit. Diese muss personell aufgestockt werden, wofür wir GRÜNE uns einsetzen. Eine bedarfsgerechte Ausstattung ist Voraussetzung dafür, dass die Bezirkssozialarbeiter ihre gute und wichtige Arbeit weiter leisten können.
Im 4. Handlungsfeld „Junge Menschen fördern“ geht es um eine Verbesserung der Bildungsteilhabe und der Bildungsergebnisse. Kinder mit herkunftsbedingter Benachteiligung bedürfen einer besonderen Unterstützung. Hierzu zählen ein verbesserter Zugang zur Kinderbetreuung, zusätzliche kommunale Förderangebote in den Kindertagesstätten (Sozialindex KT) und Grundschulen der benachteiligten Kinder, Schulsozialarbeit, Jugendarbeit sowie Unterstützung ehrenamtlicher Begleitstrukturen (Paten-/Mentorenprojekte). Dass diese Maßnahmen in den vergangenen Jahren nicht hinreichend finanziell ausgestattet wurden, war für viele Beteiligte niederschmetternd. Wir GRÜNE fordern eine sofortige und deutlich bessere Unterstützung dieser Maßnahmen.
Mit dem Ausbau und der deutlich besseren Finanzierung des Wiesbadener Handlungsprogramms „Alle Chancen für …„ wollen wir GRÜNE erreichen, dass allen Kindern aus Armutsverhältnissen auch wirklich eine Chance gegeben wird.
5. Selbstbestimmtes Leben im Alter
Der demographische Wandel, die Arbeitsverhältnisse und die damit verbundene Veränderung von familiären Strukturen führen dazu, dass immer mehr ältere Menschen
alleine in ihren Wohnungen leben. Damit es weitere Alternativen für Wohnen und Pflege im Alter gibt, gerade auch für Menschen mit geringeren finanziellen Mitteln, sind neue und intelligente Wohnkonzepte notwendig.
Wir GRÜNE fordern die Beachtung der demographischen Entwicklung bei der Städte- und Quartiersplanung. Das Vorhandensein von Einzelhandelsgeschäften, Dienstleistern, Apotheken, Ärzten sowie Begegnungszentren für Jung und Alt und Beratungsstellen ist entscheidend für die Lebensqualität im Alter.
Mehrgenerationenhäuser sind ein Weg um das generationenübergreifende Wohnen wieder neu zu beleben. Weitere Wohngemeinschaften in unterschiedlichen Konstellationen können die Vereinsamung älterer allein lebender Menschen verhindern.
Selbständiges Leben im Alter im angestammten Wohnumfeld wird gefördert durch den Ausbau von ambulanten Pflegeinrichtungen und Hauswirtschaftsdiensten sowie die bauliche Gestaltung der Wohnungen, um ein altersgerechtes und barrierefreies Wohnen zu ermöglichen. Mit Maßnahmen wie z.B. dem Umzug in die Erdgeschoßwohnung innerhalb eines Hauses können Menschen länger in ihrem Wohnumfeld bleiben.
Entsprechende Initiativen werden wir GRÜNE fördern und vorantreiben.